Festungsbau zu Beginn und gegen Mitte des 19. Jahrhunderts:
Moderne Polygonalfestungen
setzen sich durch und neue Standards
Eine Festung ist ein in Friedenszeiten
ausgebauter Ort, der in Kriegszeiten
gegen einem der Zahl nach überlegenen und
mit allen Angriffsmitteln ausgerüsteten Gegner
nachhaltig verteidigt werden kann.
Meyers Konversations-Lexikon
Jahrgang 1888
Der Wiener Kongress 1814/15, die neue Friedensordnung in Europa und ihre Impulse für den Festungsbau
Anfang des 19. Jahrhunderts änderte sich die politische Situation in Europa und in Anlehnung daran auch die Strategien des Militärs: Durch den Wiener Kongress 1814/15 entstand eine neue europäische Friedensordnung. Die Großmächte wendeten sich einer Defensivstrategie zu, was ein Comeback des Festungsbaus zur Folge hatte. Denn eins hatte sich auch mit dem Wiener Kongress nicht geändert: Man traute sich nicht und wollte daher sein eigenes Land und seine Grenzen schützen.
Kurzum: In Europa - und hier insbesondere im damaligen Preußen - begann eine "Hochzeit des Festungsbaus". Es entstanden etliche neue Festungen, um strategisch wichtige Städte und Verkehrswege zu schützen. Die Großfestung Koblenz und Köln sind nur zwei Beispiele. Dabei griffen die Preußen aber nicht auf traditionelle Konzepte zurück, sondern besannen sich auf Ideen, die Ende des vorherigen Jahrhunderts von Marc-René de Montalembert formuliert wurden, und sie feilten sie weiter aus, verfeinerten sie. Dazu gleich mehr.
Deutschland: Die Preußen setzen früh auf Polygonal-Befestigungen
Die neupreußische Befestigungsmanier:
Die Ursprünge des von den Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts umgesetzten Polygonalsystems sind u.a. in Frankreich zu finden und gehen maßgeblich zurück auf die Überlegungen der beiden Festungsbaumeister Marc-René Montalembert (1718-1800) und Lazare Cornot (1753-1823). Es beschreibt die Idee, beim Bau einer Festung bzw. bei ihren Außenlinien möglichst konsequent auf einspringende Winkel zu verzichten, so dass schlussendlich die Befestigungsanlage die Form eines Polygons (also eines Vielecks) hat.
Vergleichbare Ideen wurden auch in Deutschland entwickelt und zwar unter dem Preußenkönig Friedrich II. und seinem Baumeister Gerhard Cornelius von Walrave (1692-1773). Von Ihnen errichtete Anlagen folgten der sog. „altpreußischen Befestungsmanier“ und gelten ebenfalls als Vorläufer des Polygonalsystems.
Wer nun auch immer diesen Festungstypen entwickelte – er setzte sich in Deutschland schnell durch, wurde dort konsequent weiterentwickelt und avancierte nach Gründung des Deutschen Bundes im Jahr 1815 (als Folge des bereits erwähnten Wiener Kongresses) zur bevorzugten Bauweise neuer Befestigungsanlagen in Deutschland. Seine Weiterentwicklung wird übrigens als „neupreußische Befestigungsmanier“ bezeichnet.
Die Preußen gingen sogar einen Schritt weiter: Sie errichteten in schneller Folge etliche Festungsneubauten (Beispiel: äußerer Festungsring rund um Köln). Also wollten Sie Baukosten planen. Das war die Geburtsstunde des Biehlerschen Einheitsfort (auch Schemafort) genannt. Hans Alexis Biehler (1818-1886) war preußischer General der Infanterie und wurde mit dem Bau des Festungsrings Köln beauftragt. Er entwickelte einen standardisierten Grundriss, der sich schnell errichten ließ und die Erkenntnisse moderner Festungen vereinte.
Typische Merkmale einer Polygonal-Befestigung:
Eine Besonderheit der neuartigen Polygonal-Befestigungen (also auch des Biehlerschen Einheitsforts der Preußen) war "seine Höhe" - lass es mich mal so unfachmännisch ausdrücken. Im Gegensatz zu traditionelle bastionäre Befestigungen, die mit Ihren Bastionen, Kurtinen und vorgelagerten Werken wuchtig in die Höhe ragen und so für moderne Artillerie dankbare Ziele abgaben, versuchte man Poligonalfestungen relativ flach zu bauen, damit sich sich einem direkten Beschuss entziehen konnten.
Typisch für die ersten Polygonalfestungen ist, dass man die eigenen Geschütze unter freiem Himmel platzierte - nämlich oberhalb der Kasematten, in denen unter anderem die Soldaten untergebracht waren. Dort standen Sie in Reih und Glied - zwischen ihnen befanden sich Erdwälle und kleine Munitionskasematten. Mittels der Erdwälle wollte man ebenfalls den Schutz der Geschütze und Mannschaften erhöhen falls es zu einem Treffer kommt.
Selbstredend hat man bei den modernen Polygonalfestungen auf bewährte Prinzipien früherer Zeiten zurückgegriffen: Die Anlage ist von einem trockenen Graben umgeben, in dem man allerdings eine Grabenstreiche platzierte. Letzteres gab es bei bastionären Festungen nicht. Dringen doch einmal feindliche Truppen in den Graben ein, konnte man sie von hier aus effektiv bekämpfen. Optimalerweise ist auch die Glacis - also das Vorfeld der Festung - ansteigend, weil es für Angreifer schwieriger ist, bergauf und im Sturm das Gelände einzunehmen.
Querschnitt einer Polygonal-Befestigung:

Quelle: LivreTraité de fortification polygonale, Alexis Brialmont Brialmont, Brüssel, 1869
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Einblick in das Fort Manstein bei Metz - Mannschaftsunterkünfte in der Kehlkaserne dieses Biehlerschen Einheitsforts

Einblick in das Fort Manstein - einem Biehlerschen Einheitsfort. Dieses Bild zeigt den zentralen Verbindungsgang der Kehlkaserne (also der Kaserne auf der Rückseite der Festung). Von hier aus gelangt man in die Mannschaftsunterkünfte. Wenn Du mehr über die Feste Friedrich Karl oder speziell das Fort Manstein wissen möchtest, folge den Links.
Frankreich: Polygonal-Befestiungen der Barrière de Fer
Frankreich hielt bis ins 19. Jahrhundert hinein beim Festungsbau an den Vauban’schen Konzepten fest. Das änderte sich gegen Mitte des Jahrhunderts als man Séré de Rivières mit dem Bau neuer Festungsanlagen beispielsweise rund um Metz beauftragte. Revières war seinerzeit in Metz stationiert. Er entwickelte einen Festungsring rund um die Vauban-Bastionen, die bisher die Stadt schützen sollten. Er musste seine Arbeiten allerdings mit Beginn des Deutsch-Französischen Krieges einstellen. Sein Bauvorhaben wurde später allerdings dennoch realisiert – von den Deutschen. >> siehe: Festungen rund um Metz.
Nach dem für Frankreich verloren gegangenen Deutsch-französischen Krieg – also ab 1871 – unternahm das Land enorme Anstrengungen, um einerseits eine Reform des Militärs durchzuführen und andererseits seine Grenze zum neu entstandenen Deutschen Kaiserreich zu sichern. Innerhalb weniger Jahre wurde General Séré de Rivières die sogenannte Barrière der Fer errichtet. Allerdings machte die Waffentechnik 1880 einen Sprung. Man kannte bereits seit wenigen Jahrzehnten Geschütze mit gezogenem Lauf (sie waren treffsicherer und hatten eine höhere Reichweite) und Langgeschosse (sie waren mit Schwarzpulver gefüllt). Ab 1880 verwendete füllte man die Geschosse stattdessen mit Dynamit, Pikrinsäure und später mit TNT, was deren Wirkungsgrad um ein Vielfaches steigerte. Man bezeichnete diese neuen Geschosse als Brisanzgranaten. Mit einem Schlag galten alle bis dahin von Rivières erbauten Festungen als veraltet. Sie hätten einem Beschuss nicht lange standgehalten. Man kann sich gut vorstellen, dass das die Militärs (aller europäischen Länder) förmlich ein eine Krise stürzte. Dann das zuvor geschilderte Problem galt für alle bis dato errichteten Festungen. Kurzum: Die Festungen der Barrière der Fer mussten ab 1880 alle modernisiert und die noch zu errichtenden Forts konnten nicht gem. der bereits ausgearbeiteten Baupläne erstellt werden. In Windeseile musste man Konzepte erarbeiten, um auf diese neue Form der Bedrohung zu reagieren.
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