Das Ende der Biehler-Forts
Im Verlauf des 19. Jahrhundert, insbesondere mit und nach Einführung modernerer Geschütze mit gezogenem Lauf, erlebte die Artillerie mehrere Entwicklungssprünge jeweils mit großem Einfluss auf den Festungsbau. Mit steigender Reichweite und Treffgenauigkeit neuer Geschütze konnten die Festungsbauingenieure noch umgehen, indem sie Festungen älterer Bauweise modernisierten. Dann kamen in den 1880er-Jahren sogenannte Brisanzgranaten auf, die eine grundsätzliche Neuausrichtung des Festungsbaus notwendig machten. Warum?
Die Einführung moderner Brisanzgranaten löst beim Festungsbau eine Krise aus
Brisanzgranaten sind Langgeschosse, bei denen die bisherige Pulverladung durch Sprengstoffe ersetzt wurde. In Deutschland wurde schon seit 1880 mit Granaten dieser Art experimentiert. Sie kamen dann ab 1883 offiziell zum Einsatz. In Frankreich gelangten in ähnlicher Weise im Jahr 1886 für das 22-cm- und 155-cm-Kaliber neuartige Melinit-Granaten zur Einführung, die bis zu 30 Kilogramm Sprengstoff fassen konnten.
Brisanzgranaten waren also Langgeschosse, bei denen der innere Hohlraum so groß wie möglich gehalten wurde, um eine maximale Sprengladung aufzunehmen.
Dabei wurde das relativ schwache Schwarzpulver durch Explosivstoffe wie Dynamit oder Melinit ersetzt.
Die Geschosse wurden mit relativ geringer Anfangsgeschwindigkeit aus eher kurzläufigen Steilfeuergeschützen abgefeuert.
Sie waren mit Zündern mit Verzögerungsträgern bestückt und explodierten, nachdem sie tief in die Erde eingedrungen waren.
Jeder Treffer erzeugte dabei einen riesigen Trichter und schon wenige genügten, um die Oberfläche eines Forts (wo die Geschütze in offenen Kampfstellungen positioniert waren) völlig umzuwälzen und untauglich für jegliche Bewaffnung zu machen.
Versuche zeigten auch, dass 22-cm-Granaten ohne Probleme senkrecht bis zu 6,5 Meter tief in Tonboden oder 8 Meter in Richtung des Schusses eindringen können.
Beim Versuchsschießen durchschlugen diese Granaten immer das Gewölbe einer versuchsweise beschossenen Festung (herkömmlicher Bauweise). Die Gewölbe der Räume unterhalb der Brüstung wurden aufgerissen.
Verteidigungsmauern jeder Art geben gegen Sprenggranaten schweren Kalibers gar keine Sicherheit mehr.
Unter Umständen werden durch einzelne hinter die Mauer fallende Trümmer so große Teile in den Graben geworfen, dass gangbare Breschen entstehen. Dieses Verhältnis ist um so ungünstiger, je mehr Erde über den Mauern ruht.
Einzelne, in der Nähe des Fundaments detonierende Geschosse können die Mauern zum Einsturz bringen.
Alle Gewölbe bisheriger Stärke und Anordnung werden durch einen oder einzelne Treffer schweren Kalibers durchschlagen.
Durch das Verschütten der Eingänge der Schutzhohlräume und die Verwüstung der Wälle wird es unmöglich, die Infanterie bei eintretendem Sturm schnell zur Hand zu haben.
Durch eine verhältnismäßig kurze Beschießung werden Forts (herkömmlicher Bauweise) für die artilleristische Verteidigung völlig unbrauchbar, so dass selbst leichte Geschütze nicht mehr zu bewegen sind.
Die mit außerordentlicher Gewalt sehr weit fortgeschleuderten Sprengstücke der Granaten gefährden das Innere der beschossenen Werke in seiner ganzen Ausdehnung.