Die Entwicklung der Panzerfestungen im 19. Jahrhundert

Als Panzerfestung bezeichnet man einen gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Deutschen Kaiserreich unter Kaiser Wilhelm II. und parallel von Frankreich entwickelten Festungstyp:

Die immer stärker gewordene Artillerie und die enorme Zerstörungskraft neuartiger Sprenggranaten machten es notwendig, die Festungsartillerie, die den Fernkampf führte und die Hauptbewaffnung einer Festung darstellte, durch moderne Panzertürme zu schützen. Gleichzeitig galt es die Infanterie, die für die Nahverteidigung verantwortlich war, durch betonierte und unterirdische Kasematten ebenfalls besser vor feindlicher Artillerie zu schützen.

Wettlauf zwischen Artillerie und Festungsbau

Im 18. Jahrhundert wurde der Festungsbau von Sébastien Vauban geprägt, obwohl dieser bereits 1707 verstarb. Er stand für bastionäre Befestigungssysteme, die nach seinem Tod weiterentwickelt wurden, aber im Grundsatz unverändert blieben.

Zu Beginn des 19. Jahrhundert änderte sich das - jedenfalls in Deutschland, genau genommen im damaligen Preußen: Festungsbauingenieure setzten auf sog. Polygonal-Befestigungen und sie begannen mehrere Werke wie einen Ring um den zu schützen Ort herum zu errichten - es entstanden dadurch Gürtelfestungen. Ein gutes Beispiel für eine solche Gürtelfestung ist der Festungsring rund um Köln.

Mitte des Jahrhunderts machte die Artillerie mehrere und bedeutende Entwicklungssprünge. Während sie auf den Schlachtfeldern jeder Zeit zur Unterstützung der Infanterie eingesetzt wurde, entwickelte sich nach und nach eine eigene Waffengattung.

Es begann in den 1840er-Jahren mit der Erfindung der Hinterlader. Kurz darauf folgen Geschütze mit gezogenem Lauf. Beides zusammen führte dazu, dass sich die Reichweite, Schussfolge und Treffgenauigkeit der Geschütze deutlich erhöhte. Bisher errichtete Gürtelfestungen waren daraufhin nutzlos, weil man sie viel zu nah vor den zu schützenden Ort errichtete. Als Reaktion darauf begann man, diese Orte (wie Köln) mit einem zweiten Festungsring zu umgeben - dieser war diesmal aber viel weiter vor den Toren der Stadt platziert.

In den 1880er-Jahren gab es zwei weitere Erfindungen mit weitreichenden Folgen für den Festungsbau: Die Waffenschmiede von Friedrich Alfred Krupp begann Geschütze mit Rohren aus gezogenem Stahl (statt Gusseisen oder Bronze) zu produzieren. Sie ließen deutlich größere Kaliber zu. Und man erfand die sogenannten Brisanzgranaten: Das sind torpedo-ähnliche Geschosse, die man mit Explosivstoffen (Pikrinsäure oder Nitrozellulosepulver anstatt bisherigem Schwarzpulver) füllte und deren Zerstörungskraft vielfach höher war als die bisher verwendeter Geschosse.

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Reaktionen beim Festungsbau auf die Einführung moderner Brisanzgranaten


Das Aufkommen der modernen Brisanzgranaten hatte eine enorme Wirkung auf den künftigen Festungsbaus. Erste Schießversuche der Militärs auf vorhandene Festungen zeigten schnell, dass diese der enormen Wirkung der Sprenggranaten nicht widerstehen konnten, was europaweit zu einer Krise im Festungsbau führte. Denn selbst just errichtete Befestigungen galten auf einen Schlag als veraltet. Natürlich mussten schnell Lösungen gefunden werden.

(1) In der Eile begann man mit Nachbessern und Nachrüsten vorhandener Festungen, indem man beispielsweise die Kasematten eines Fort nicht nur Erde (zum Dämpfung der Geschosswirkung), sondern zuerst und zusätzlich mit Beton und dann mit Erde bedeckte. Und man baute Panzerelemente in die Festungen ein, um deren Artillerie zu schützen. Das waren natürlich keine dauerhaften Lösungen.

(2) Daher begannen die Festungsbauingenieure in etlichen europäischen Ländern mit der Weiter- und Neuentwicklung der Festungsanlagen selbst. Bisherige Baupläne mussten überarbeitet werden und man setzte auf den neuartigen Baustoff Beton, den man oft mit Eisen oder Stahl armierte, was zu einer höheren Belastungsfähigkeit führte. Es wurden auch weitere Panzerungen in den Festungen verbaut - allem voran sind hier die Panzertürme zu nennen, mit denen man die Festungsartillerie schützen wollte.

Die nachfolgende Übersicht gibt einen Einblick in die beiden zuvor beschriebenen Phasen. Man sieht, dass das Deutsche Kaiserreicht relativ schnell auf die sich veränderten Rahmenbedingungen reagierte und bereits in den 1890er-Jahren mit dem Bau sogenannter Panzerfestungen begann. .Einen Prototyp findet man heute in Thorn (Polen). Die Feste König Wilhelm I. mit seinen wuchtigen 21-cm-Turmkanonen mit Panzerung gilt als Vorläufer eines neuen Festungstyps, den die Deutschen als "Feste" bezeichneten. Kurz darauf wurde mit dem Bau der Feste Kaiser Wilhelm II. bei Straßburg im Elsass begonnen. Sie stand Modell vielen anderen Festungen, die im darauffolgenden Jahrzehnt errichtet wurden.

Aber natürlich reagierten auch andere Nationen auf die Situation. Frankreich beispielsweise war gerade mitten im Bau seines neuen Verteidigungswalls - der Barrière de Fer. Sie sollte die durch den Deutsch-französischen Krieg 1870/71 neu gezogene Grenze zu Deutschland schützen. Wie schon erwähnt: zuerst passten auch die Franzosen ihre Baupläne an und entwickelten erst mit der Zeit eine auf den Artilleriekampf mit Brisanzgranaten ausgerichteten Festungstyp. Siehe: Merkmale französischer Panzerfestungen.

Feste Friedrich Karl: Beispiel einer deutschen Festung im Übergang herkömmlicher Festungen zur Panzerfestung


Wie bereits gesagt: Die Festungsbauingenieure reagierten erst nach und nach auf die Bedrohung durch Brisanzgranaten. Die Feste Friedrich Karl ist ein gutes Beispiel dafür.

Der Bau der Festung wurde bereits von den Franzosen vor Ausbruch des Deutsch-französischen Kriegs 1870/71 begonnen und später nach Ende des Krieges bzw. der deutschen Annexion der Region Elsass-Lothringen durch das Deutsche Kaiserreich fertiggestellt. Das besondere dieser Festung ist, dass sie drei verschiedene Epochen des Festungsbaus vereint:

(1) Das Ostfort weist noch starke Ähnlichkeiten mit einer Bastionärbefestigung auf, während (2) das Fort Manstein ein Biehler'sches Einheitsfort ist. Zwischen den beiden Festungen entstanden später dann erste Werke, die modernerer Panzerfestung zugeordnet werden können - allem voran die Panzerbatterie im Zentrum der Anlage. Siehe: Dokumentation der Feste Friedrich Karl.

Feste Friedrich Karl bei Metz

Feste Friedrich Karl bei Metz

Ostfort - bastionäre Festung

der älteste und noch von den Franzosen geplante Teil der Anlage befindet sich östlich innerhalb der Festung. Es ist das sog. Ostfort (dies ist der deutsche Name, die Franzosen nennen es Fort Diou, früher Fort Charles). Es ist auf Entwürfe des französischen Festungsbaumeisters Séré de Rivières zurückzuführen. Es ist im Wesen eine bastionäre Befestigungsanlage - umgeben von einem tiefen Graben und einer Zugbrücke auf der Kehlseite der Festung. Um tote Winkel zu vermeiden wurden die Außenmauer mit Bastionen versehen, die eine Rund-um-Verteidigung deutlich erleichterten. Die Pläne sahen vor, dass hier bis zu vierzig Geschütze positioniert werden sollen und das Fort Platz für knapp 620 Mannschaften hat.

Baubeginn war im Jahr 1867. Deutsche Ingenieure vollendeten es dann bis 1872 auf Basis der Originalbaupläne. Das Fort selbst ist recht kompakt und hoch aufragend errichtet. Es galt nach seiner Fertigstellung eigentlich schon als veraltet, weil es durch sein hohes Profil für feindliche Artillerie ein gutes Ziel abgab.

Siehe auch:
- Geschichte des Festungsbaus - bastionäre Befestigungen.

Erste Elemente künftiger Panzerfestungen

Ursprünglich planten die Deutschen "lediglich" die Fertigstellung des Ostforts und ergänzenden Bau des Forts Manstein. Später umschlossen sie das gesamten Plateau Mont Saint-Quentin (also die Ebene zwischen den beiden zuvor genannten Forts). Dort legten sie weitere Verteidigungsanlagen (in Form offener Geschützstellungen) an. Sie errichteten auch im Gelände verteilte Mannschafts- und Munitionskasematten. Ohne Zweifel ist dabei die riesige Zentralkaserne ein absolutes Highlight. Last but not least bauten Sie recht zentral gelegen eine weitere Panzerbatterie - dazu gleich mehr.

Damit weit die die Festung Friedrich Karl erste Grundzüge künftiger Panzerfestungen der Deutschen auf, die (kurz zusammengefasst) durch die aufgelöste Bauweise und den Schutz der Festungsartillerie durch Panzertürme gekennzeichnet sind. Genau genommen ist die Festung aber keine Panzerfestung, sondern ein Vorläufer davon.

Siehe auch:
- Geschichte des Festungsbaus: Entwicklung erster Panzerfestungen.
- Geschichte des deutschen Festungsbaus: Deutsche Panzerfestungen.

Fort Manstein - ein Biehler'sches Standardfort

Biehlersche Einheitsfort - Standardfestung der Preußen gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Fort Manstein im Westen der Feste Friedrich Karl ist einer anderen Epoche des Festungsbaus zuzuordnen. Die Franzosen nennen es heute Fort Géardin. Es ist ein Biehlersches Standardfort. Dieses wurde entwickelt vom preußischen Militärarchitekten Hans Alexis von Biehler- preußischer General, der unter anderem am militärischen Ausbau der Stadt Köln in den 1840er-Jahren beteiligt war. Dieses Fort ist eine Poligonal-Befestgung. Ein Festungsbaukonzept jüngeren Datums (im Gegensatz zum bastionären Ostfort). Es hat die Grundform einer Lünette und ist auf der Frontseite umgeben von einem tiefen Graben samt Grabenstreichen zu dessen Verteidigung. Die Geschütze des Forts waren allerdings (noch) unter freiem Himmel in eigens dafür vorgesehenen Geschützstellungen positioniert. Unter diesen Befanden sich die Unterkünfte der Mannschaften sowie Offiziere als auch die Versorgungseinrichtungen des Werks.

Auch Fort Manstein galt ab den 1880er-Jahren - nach dem Aufkommen neuer Sprenggranaten - als veraltet, woraufhin die Deutschen die Festung immer wieder modernisierten. Hier wurde unter anderem einer der wenigen gepanzerten Beobachter verbaut, der aus Hermann Grusons Feder stammt und aus Gusseisen produziert wurde.

Siehe auch:
- Geschichte des preußischen Festungsbaus - Biehlerfort.
- Geschichte des Festungsbaus - Polygonal-Befestigungen.

21-cm-Panzerbatterie (Modell Gruson)

21 cm Turmkanone mit Panzerturm
Quelle: Les cuirassements rotatifs : "affûts cuirassés" et leur importance en vue d'une réforme radicale de la fortification permanente, Maximilian Schumann, Postdam: "Militaria" Verlagsbuchhandlung für Militär-Literatur (G.v. Glasenapp), 1885

Die Hauptbewaffnung der Feste Friedrich Karl waren bis zu 120 Geschützte - untergebracht in offenen Geschützstellungen vornehmlich entlang des äußeren Walls, der das gesamte Plateau umfasst. Die Munition brachte man in nahe gelegenen Kasematten unter.

Dann kamen neuartige Spreng- oder Brisanzgranaten auf. Sie stellten eine Bedrohung für die derart ungeschützt positionierte Festungsartillerie dar. Also baute man im Herzen der Festung - nahe der Zentralkaserne - eine Panzerbatterie mit zwei 21-cm-Kanonen, geschützt durch einen Panzerturm (Modell Gruson). Damit lehnt sich die Feste Friedrich Karl an den Prototypen künftiger Panzerfestungen an, der in Thorn nahe der deutsch-russischen Grenze entstand.

Siehe auch:
- Entwicklung der Artillerie.
- Panzerfestungen: Deutsche Panzertürme.


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