Festungen rund um Lüttich

In den 1850er-Jahren veränderte das noch junge Belgien seine Verteidigungsstrategie: Bis dahin hatte der Schutz der französischen Grenze oberste Priorität. Diese wurde seit Ende der napoleonischen Kriege und dem Wiener Kongress 1815 durch die sogenannte Wellington-Barriere gesichert - einem Verteidigungswall, der insgesamt aus 21 Festungen, Fort und zu Festungen ausgebauten Städten gehörte, von denen sich 19 auf belgischem Boden befanden.

Die Belgier mussten allerdings erkennen, dass sie wegen ihrer recht kleinen Armee (im Vergleich zu den Nachbarn Frankreich oder Preußen) einem Angriff nicht lange hätten widerstehen können. Also fokussierten sie sich, indem sich ihre Verteidigung auf strategisch wichtige Städte konzentrierten. Diese sollten jeweils von einem Ring moderner Panzerfestungen umgeben werden, an denen sich ein vorrückender Feind aufreibt.

General Henri Alexis Brialmont war seinerzeit der führende Festungsbauingenieur Belgiens. Er hatte bereits Ende der 1850er-Jahre Antwerpen zu einer Gürtelfestung ausgebaut. Ihm übertrug man in den 1880er-Jahren daher auch die Aufgabe, Lüttich entsprechend zu sichern.

Sein Konzept sah den Bau von insgesamt 12 modernen Panzerwerken vor. Sechs von ihnen sollten große Forts sein und weitere sechs hatten einen kleineren Grundriss. Sie sollten mit einem Abstand von mehreren Kilometern vor den Toren der Stadt bzw. voneinander entfernt errichtet werden, so dass Lüttich von ihnen ringförmig umschlossen wurde. Beim Bau sämtlicher Werke verwendete man den damals noch modernen Baustoff Beton - teilweise armiert mit Stahl, um seine Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.

Diese Panzerwerke waren schwer bewaffnet. Die größeren von ihnen stattete man mit schweren Haubitzen (Kaliber 210 mm) und zehn weiteren Kanonen unterschiedlicher Kaliber aus. Zusätzlich installierte man auch Schnellfeuerkanonen und Scharten für Maschinengewehre. Zum Schutz der Artillerie installierte man diese in modernen Panzerkuppeln, die man aus Deutschland bezog. Gleiches gilt auch für die Geschütze größeren Kalibers.

Die Bauweise der Brialmont-Forts rund um Lüttich

Plan eines Panzereinheitswerks / Quelle: gallica.bnf.fr

Das Besondere der meisten Forts rund um Lüttich war, dass sie alle den gleichen Bauplan hatten. Es handelte sich um sogenannte Panzereinheitswerke, die Brialmont in den 1880er-Jahren entwickelte. Seine Pläne fanden nicht nur bei der belgischen Regierung großen Anklang, sondern er beeinflusste damit auch den Festungsbau des Deutschen Kaiserreichs unter Wilhelm II. (siehe: Deutsche Panzerfestungen oder Feste Kaiser Wilhelm II.).

Die Festungen rund um Lüttig, Namur und Antwerpen wurden zum Herzstück der belgischen Landesverteidigung und mussten sich nach seinem Tod erstmals 1914 in den ersten Monaten des beginnenden Ersten Weltkriegs beweisen. Problem war allerdings, dass sich die Artillerie stetig entwickelte und die Brialmont-Forts eigentlich hätten ständig modernisiert werden müssen, was nicht passierte. Bekanntlich überrollten 1914 die deutschen Truppen Belgien und beschossen die Forts mit schwerster Artillerie.

Aus dieser Zeit stammt auch ein ausführlicher Bericht, der die Bauweise der Brialmont'schen Panzereinheitswerke beschreibt. Er wurde von den Deutschen nach Einnahme der Festungen angefertigt. Diesen Bericht möchte ich kurz zitieren, um mehr über diese Forts zu erfahren:

„In der Mitte jedes Forts befindet sich ein großer Betonbau mit den Panzertürmen für 12 cm-, 15 cm- und 21 cm-Geschützen – kurz Batterie genannt. Diese Batterie umschließt der im Grundriss ebenfalls dreieckig und zur Infanterieverteidigung eingerichtete Wall. In dessen Spitze und in seinen Kehlpunkten stehen hebbare Panzertürme mit 5,7-cm-Sturmabwehrgeschützen. Ziwschen Wall und Batterie liegen Höfe, deren Form und Größe bei den verschiedenen Forts mehr oder minder abweichen. In der Kehle liegen die Kasernenräume, zwischen diesen und der Batterie die Munitions- und Vorratsmagazine. Alle diese Räume bilden mit der Batterie einen zusammenhängenden Betonbau. Aus der Kaserne führt eine Treppe in den einzigen Bereitschaftsraum und von diesem auf dem Wall. Das Ganze wird von einem trockenen Graben umzogen, in dessen äußere Kehlwand die Grabenwehren und Hohlräume für Wirtschaftszwecke und die Latrinen eingebaut sind. Alle Bauten sind in Beton ausgeführt. Die Forts wurden in den Jahren 1888 bis 1892 gebaut (Anmerkung: diese Angabe bezieht sich auf die Festungen von Namur), hatten somit bei der Beschießung ein Alter von 22 bis 26 Jahren. Seitdem ist in den Werken nichts wesentliches geändert worden, so dass die Bauten gegenüber den neuesten Fortschritten der Artillerie und des Festungsbaus als unzureichend und veraltet anzusehen sind“.

Quelle: Denkschrift über die Ergebnisse der Beschießung der Festungen Lüttich, Namur, Antwerpen und Maubeuge. Brüssel 1915 | Deutsch-russisches Projekt zur Digitalisierung deutscher Dokumente in Archiven der russischen Föderation | Signatur: 500-12519-472 (1) / Seite 6-7

Überblick: Brialmont-Forts rund um Lüttich

Festung

Errichtet

Festungstyp

Google Maps

Fort Barchon

1888 - 1899

Panzereinheitsfort, großes Fort

Fort Evegnée

1888 - 1899

Panzereinheitsfort, kleines Fort

Fort Fléron

1888 - 1899

Festung mit Trapezform, großes Fort

Fort Chaudfontaine

1888 - 1899

Festung mit Trapezform, kleines Fort

Fort Embourg

1888 - 1899

Festung mit Trapezform, kleines Fort

Fort Boncelles

1888 - 1899

Panzereinheitsfort, großes Fort

Fort Flémalle

1888 - 1899

Festung mit Trapezform, großes Fort

Fort Hollogne

1888 - 1899

Panzereinheitsfort, großes Fort

Fort Loncin

1888 - 1892

Panzereinheitsfort, großes Fort

Fort Lantin

1888 - 1899

Panzereinheitsfort, kleines Fort

Fort Liers

1888 - 1899

Panzereinheitsfort, kleines Fort

Fort Pontisse

1888 - 1899

Festung mit Trapezform, großes Fort

Die Wirkung deutscher Artillerie beim Kampf um die Festungen rund um Lüttich

Bis zum Ersten Weltkrieg galten die Festungen rund um Lüttich als uneinnehmbar. Doch dann überwanden deutsche Truppen die Festungen innerhalb weniger Tage, indem sie schwere und schwerste (Eisenbahn-) Geschütze einsetzten, die über eine Distanz von bis zu 47 Kilometern platziert werden konnten. Ihre Geschosse hatten eine enorme Durchschlagskraft, so dass selbst die modernen Brialmont-Festungen dem nicht widerstehen konnten. Einen interessanten Artikel zum Thema hat DIE WELT vor einiger Zeit veröffentlich. Folge einfach dem Link.

    • Quelle: Historische Postkarte - Erster Weltkrieg

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