Entwicklung belgischer Panzerfestungen im 19. Jahrhundert

in den 50er-Jahren des 18. Jahrhunderts wurde dem noch jungen Belgien klar, dass es seine Landesverteidigung neu ausrichten muss. Man sorgte sich vor der Übermacht Frankreichs. Die Wellington-Barriere jedoch, die nach dem Wiener Kongress 1815 entlang der belgisch-französischen Grenze errichtet wurde, war in die Jahre gekommen. Obendrein wurde der Regierung klar, dass die Armee zu klein war, um eine flächendeckende Verteidigung zu organisieren. Man sah sich also gezwungen, sich zu fokussieren.

Die Wahl fiel auf Antwerpen. Die Stadt sollte zum militärischen Zentrum Belgiens ausgebaut werden. Der Seehafen hatte dabei eine strategische Bedeutung. Man begann damit, den noch aus der spanischen Zeit stammenden Schutzwall rund um die Stadt zu erweitern, indem man ihn zwischen 1853 bis 1859 durch bastionierte Befestigungen zusätzlich schützte.

Marc-René Montalemberg (1714-1800) | Quelle: wikipedia, gemeinfrei

Marc-René Montalemberg
1714-1800

1859 änderte sich das Verteidigungskonzept abermals, was in den Beschluss mündete, Antwerpen zu einer Ring- bzw. Gürtelfestung auszubauen - also weitere Befestigungen vor den Toren der Stadt zu errichten. Dieser sollte aus acht Festungen bestehen, die gut zwei Kilometer von der Stadt entfernt sind. Ausgangspunkt der Überlegungen war das Aufkommen neuartiger Geschütze (modernere Hinterlader mit gezogenem Lauf), die eine deutlich höhere Reichweite und Treffgenauigkeit hatten.

Mit der Umsetzung des Vorhabens wurde der belgische Festungsbauingenieur Henri Alexis Brialmont beauftrag. Er setzte von Anfang an auf Konzepte, die Marc-René de Montalembert einige Jahrzehnter zuvor ausgearbeitet hatte und die die Preußen bspw. beim Bau ihrer Festungen rund um Köln perfektionierten.

Der Ausbau Antwerpens zu einer Gürtelfestung fand in den 1860er-Jahren statt. Es entstanden insgesamt acht sogenannte Brialmont-Forts. Dabei handeltes es sich um Polygonal-Befestigungen, die in einem Abstand von zwei Kilometern vor der Stadt platziert wurden. Ihre Artillerie sollte Angreifer auf Distanz (zur Stadt) halten und sich zugleich gegenseitig decken. Zwischen diesen Festungen errichtete man weitere Stellungen, um die Zwischenräume zu sichern. Das Besondere dabei war, dass alle Forts einen (fast) identischen Grundriss hatten.

Diese Brialmont-Forts markieren (so würde ich es jedenfalls formulieren) die erste "Schaffensphase" von Henri Alexis Brialmont. Von den später entwickelten Panzerfestungen, für die Brialmont heute eigentlich steht und mit denen er auch den Festungsbau des Deutschen Kaiserreichs stark beeinflusste, unterschieden sie sich wesentlich. Diese sogenannten Panzerfestungen entwickelte erst in den Jahrzehnten danach. Dazu aber gleich mehr. Zuerst einmal möchte ich einen Blick auf die Brialmont-Forts des ersten Festungsgürtels rund um Antwerpen werfen.

In den 1860er-Jahren: Brialmont-Fort rund um Antwerpen (erster Festungsring)


Der Ausbau Antwerpens zu dem militärischen Zentrum Belgiens bzw. der Bau des ersten Festungsrings gut zwei Kilometer vor der Stadt fand in den 1960er-Jahren statt und lag in den Händen des belgischen Festungsbauingenieurs Brialmont. Er ließ insgesamt acht Fort errichten. Dabei handelte es sich um Polygonal-Befestigungen, die alle (fast) den gleichen Grundriss hatten. Der Einfachheit halber nummerierte man die Forts durch. Die wichtigsten Merkmale dieser Forts waren:

Quelle: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de

(1) Man errichtete sie aus schweren Ziegel- oder Bruchsteinen. Das war seinerzeit das für den Bau neuer Befestigungen bevorzugte Baumaterial. Die einzelnen Teile der des Forts waren gewölbeartig angelegt und wurden von einer dicken Erdschicht bedeckt. Das bot (seinerzeit) ausreichenden Schutz vor feindlicher Artillerie.

Etliche Jahre später trug man die Erde wieder ab und überkofferte die Gewölbe mit Beton, um sie abermals mit einer (viel dickeren) Erdschicht zu bedecken. Man verpackte das als Modernisierung, die nach dem Aufkommen Sprenggranaten notwendig wurde. Tatsächlich war das eine Behelfsmaßnahme, die die Widerstandsfähigkeit des Forts erhöhte, sie aber nicht wirklich schützte.

(2) Alle Brialmont-Forts waren von einem nassen Graben umgeben - zum Schutz vor angreifender Infanterie. Ebenfalls ein Merkmal, welches Brialmont bei seinen späteren Panzerfestung gänzlich fallen ließ. Wasser spielte bei der Verteidigung Antwerpens eh eine große Rolle. Es war vorgesehen, im Fall eines Angriffs weite Flächen zu fluten, um ein Vorankommen feindlicher Truppen zu unterbinden.

(3) Die Festungsartillerie positionierte man oberhalb der Gewölbe unter freiem Himmel. Brialmont-Forts waren im Kern Artillerie-Festungen und auf die "Fernverteidigung" ausgerichtet. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Geschütze seiner Zeit zwar eine nennenswerte Reichweite hatten, aber bald von noch modernen Geschützen mit noch größerer Reichweite abgelöst wurden. Dazu später ebenfalls mehr. Wichtig ist, das die Festungsartillerie - wie schon gesagt - unter freiem Himmel platziert war. Mit dem Aufkommen der Sprenggranaten war das unhaltbar, so dass man die Forts mit gepanzerten Artillerietürmen nachrüstete.

In den 1880er-Jahren: Panzerfestungen rund um Antwerpen, Lüttich und Namur


Mit dem Aufkommen der Sprenggranaten galten bisher errichtete Festungen auf einen Schlag als veraltet. Der belgischen Regierung blieb also nicht anderes übrig, als dass sie abermals ein gigantisches Festungsbauprogramm auflegen, um Antwerpen militärisch zu schützen. Hinzu kam auch Pläne mit Lüttich und Namur gleich zu verfahren. Man beauftragte abermals Brialmont mit der Realisierung dieses Vorhabens. Er verantwortete zwischen 1887 und 1892 den Bau etlicher Festungen zum Schutz der genannten Städte. Brialmont war klar, dass sich diese maßgeblich von bisherigen Befestigungen unterscheiden mussten. Zum Schutz der Städte vor Artillerie mit großer Reichweite mussten die neuen Gürtelfestungen mindestens vier Kilometer vor ihren Toren liegen.

Quelle: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France

Als Baumaterial entschied er sich für das neue Baumaterial Beton (statt Ziegelsteinen). Zum Schutz der Festungsartillerie versah er die Werke mit Panzertürmen aus Stahl. Er veränderte auch das Profil seiner Forts (sie wurden flacher und konnten von feindlicher Artillerie schlechter anvisiert werden) und den Grundriss.

Auf diese Weise entwickelte Brialmont das sogenannte Panzereinheitswerk, welches auf den Fernkampf mit Artillerie ausgerichtet war, aber auch der Infanterie Unterkunft bot. Seine Pläne fanden nicht nur bei der belgischen Regierung Anklang, sondern beeinflussten auch den Festungsbau des Deutschen Kaiserreichs. Dieses errichtete nämlich ab 1893 westlich von Straßburg eine neuartige Panzerfestung, deren Kern mehrere dreieckige Brialmont’sche Panzerwerke bildeten (siehe Feste Kaiser Wilhelm II. oder deutsche Panzerfestungen).

Brialmonts Festungen waren fortan das Herzstück der belgischen Landesverteidigung und mussten sich nach seinem Tod erstmals 1914 in den ersten Monaten des beginnenden Ersten Weltkriegs beweisen. Problem war, dass sich die Artillerie stetig entwickelte und die Brialmont-Forts eigentlich hätten modernisiert werden müssen. Obendrein verwendete man als Baumaterial zwar Beton, armierte diesen zur besseren Widerstandsfähigkeit aber nicht. Bekanntlich überrollten 1914 deutsche Truppen Belgien und beschossen die Forts mit schwerster Artillerie.

Aus dieser Zeit stammt eine Denkschrift, die den Zustand der Festungen nach deren Beschießung beschreit. Gleichzeitig gibt sie gute Einblicke in die Bauweise der Brialmont-Einheitspanzerforts, weswegen ich hier das Dokument zitiere: „In der Mitte jedes Forts befindet sich ein großer Betonbau mit den Panzertürmen für 12 cm-, 15 cm- und 21 cm-Geschützen – kurz Batterie genannt. Diese Batterie umschließt der im Grundriss ebenfalls dreieckig und zur Infanterieverteidigung eingerichtete Wall. In dessen Spitze und in seinen Kehlpunkten stehen hebbare Panzertürme mit 5,7-cm-Sturmabwehrgeschützen. Zwischen Wall und Batterie liegen Höfe, deren Form und Größe bei den verschiedenen Forts mehr oder minder abweichen. In der Kehle liegen die Kasernenräume, zwischen diesen und der Batterie die Munitions- und Vorratsmagazine. Alle diese Räume bilden mit der Batterie einen zusammenhängenden Betonbau. Aus der Kaserne führt eine Treppe in den einzigen Bereitschaftsraum und von diesem auf dem Wall. Das Ganze wird von einem trockenen Graben umzogen, in dessen äußere Kehlwand die Grabenwehren und Hohlräume für Wirtschaftszwecke und die Latrinen eingebaut sind. Alle Bauten sind in Beton ausgeführt. Die Forts wurden in den Jahren 1888 bis 1892 gebaut (Anmerkung: diese Angabe bezieht sich auf die Festungen von Namur), hatten somit bei der Beschießung ein Alter von 22 bis 26 Jahren. Seitdem ist in den Werken nichts wesentliches geändert worden, so dass die Bauten gegenüber den neuesten Fortschritten der Artillerie und des Festungsbaus als unzureichend und veraltet anzusehen sind“.

Zitat + Abbildung - Quelle: Deutsch-russisches Projekt zur Digitalisierung deutscher Dokumente in Archiven der russischen Föderation | Signatur: 500-12519-472 (1)

Ab 1905: Neue Panzerfestungen rund um Antwerpen

Schaubild einer Panzerfestung ersten Ranges, welche nach 1905 rund um Antwerpen errichtet wurde.

Die Geschichte belgischer Panzerfestungen endete allerdings nicht mit dem Ausscheiden Brialmonts aus dem aktiven Dienst. Vielmehr beschloss die Regierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts den bereits begonnenen zweiten Festungsring rund um Antwerpen abermals durch neue Panzerfestungen zu verstärken.

Die seinerzeit errichteten Panzerfestungen haben alle sehr ähnliche Baupläne. Alle Forts hatten einen mit nassen Graben (er war also mit Wasser gefüllt). Die Forts selbst unterteilten sind in eine vordere Hauptkaserne und eine Kehlkopfkaserne - durchaus eine Anlehnung an die frühen Brialmont-Forts aus den 1860er-Jahren. Die Betondecken der Kasernen bestanden aus bis zu 2, 50 Meter dickem Beton, der allerdings nicht mit Stahl bewehrt wurde, was sich später als großen Fehler herausstellte. Die Rückseite der Werke sicherte man mit traditionellen Batterien. Die Panzertürme, die Geschütze unterschiedlichen Kalibers beherbergten, waren vom Typ Cockerill Modell 1909.

Man unterschied zwischen Forts erster und zweiter Ordnung - in Abhängigkeit von der zu erwartenden Kampflast, die sie im Fall eines Angriffs tragen mussten. Forts zweiter Ordnung bildeten die Mehrheit der neu errichteten Befestigungen. Sie waren mit einem Turm für zwei 15-cm-Geschützen, zwei Geschütztürmen für jeweils eine 12-cm-Haubitze und vier Geschütztürmen mit 7,5-cm-Kanonen.

Belgische Gürtelfestungen zu Beginn des Ersten Weltkriegs

    • Festungen Antwerpen - Karte

      Festung Antwerpen

      Der weitläufige Festungsring rund um Antwerpen war das erste große militärische Bauvorhaben des damals noch jungen Belgien. Die Stadt war damals das Wirtschaftszentrum schlechthin und es galt sie vor einem Angriff angemessen zu schützen. Später folgten Festungsringe rund um die Städte Lüttich und Namur.

    • Festung Lüttich - Karte

      Festung Lüttich

      Die modernste Festung rund um Lüttich wurde zwischen 1880 und 1890 errichtet. Baumeister war General Henri Alexis Brialmont. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs galten sie alles allerdings als vollkommen veraltet, weil sich in den Jahren zuvor die Waffentechnik sprunghaft entwickelte und Belgien seine Festungen nie modernisierte.

    • Festung Namur - Karte

      Festung Namur

      Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts entschlossen sich die Belgier, ihre Wirtschaftszentren durch Festungen zu sichern. Dabei wählten sie drei Städte aus, die es zu sichern galt. Hier entstanden wuchtige Festungsringe rund um die Stadt.

1914: Der Erste Weltkrieg beginnt!

Quelle: Historische Postkarte - Erster Weltkrieg

Die Schwächen der belgischen Armee zeigten sich direkt zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Deutschen hatten 1905 den Schlieffen-Plan erarbeitet. Er sah vor, dass im Fall eines Krieges zwischen Frankreich und Deutschland das riesige deutsche Heer Belgien durchschreitet und Frankreich von der belgisch-französischen Grenze aus angreift. Hier erwartete man die Schwachstelle Frankreichs, denn immerhin errichteten die Franzosen ab 1871 entlang der direkten deutsch-französischen Grenze die mächtige Barrière de Fer. Gleichzeitig fühlten sich die Deutschen auf ihrer Seite sicher, denn sie hatten die militärisch stark ausgebauten Städte Metz, Thionville und Straßburg, die aus ihrer Perspektive die Grenze zu Frankreich sicherten.

Kurzum: Am 4. August 1914 marschierte das Deutsche Heer entsprechend dem Schlieffen-Plan in das neutrale Belgien ein. Kurz darauf kam es auch schon zu den ersten schweren Kampfhandlungen. Die Deutschen nahmen zuerst die belgische Industriestadt Lüttich ins Visier und beschossen die Festungen mit schweren Eisenbahngeschützen ("Dicke Berta" und "Langer Max"). Die Sprengkraft ihrer Geschosse war vernichtend für die seinerzeit als maßlos veraltet geltenden Festungen. Nachdem man Lüttich niedergekämpft hatte, marschierten Teile der deutschen Armee nach Antwerpen und Namur. Dort begann das "Spiel" von vorn. Bereits am ersten Tag der Belagerung und Beschießung von Namur gingen dort fünf Festungen verloren. Nach und nach fielen auch die übrigen Forts, weil sie dem schweren Beschuss nicht standhalten konnten.

Aus deutscher Sicht waren die ersten Kriegsmonate des Jahres 1914 beziehungsweise der Feldzug gegen Belgien ein voller Erfolg. Sie überrannten förmlich die belgische Armee und nahmen schnell die wichtigen Festungsstädte. Für sie war der Weg nach Frankreich schnell frei. Angesichts dieser Übermacht ergab sich die belgische Armee am 25. August 1914. Insgesamt 50.000 Soldaten gingen in Kriegsgefangenschaft. Der Fall von Namur hatte (was die Deutschen nicht realisierten) eine große Signalwirkung für die Alliierten, die nun keine stabile Verteidigungslinie gegen den Vormarsch der deutschen Truppen besaßen, bis diese die Marne kurz vor Paris erreichten.

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