Die Brisanzgranatenkrise in den 1880er-Jahren

In den 1880er-Jahren wurde der Festungsbau durch die Einführung neuer Brisanzgranaten (oft als Torpedogranaten bezeichnet) erschüttert. Ihre Sprengkraft war so verheerend und übertraf die herkömmlicher Granaten um ein Vielfaches, dass alle bis dato errichteten Festungen auf einen Schlag als veraltet angesehen wurden.

Während man im Festungsbau von der Brisanzgranatenkrise spricht, bezeichnen die Franzosen diesen Tiefpunkt als crise de l'obus-torpille.

Entwicklung der Brisanz- bzw. Torpedogranaten

In der Sprache der Artilleristen des 19. Jahrhunderts wurde eine Granate als "Torpedo" bezeichnet, wenn sie vor ihrer Explosion in den Boden eindrang. Dieses Phänomen trat allerdings erstmals mit der Entwicklung neuartiger zylinderförmiger Granaten mit Aufschlagzünder auf. Wenn diese Granaten in der Erde explodierten, erzeugten sie einen tiefen Krater - in Abhängigkeit von der Sprengkraft des Explosivmaterials.

Natürlich wurde schon seit vielen Jahren mit solchen "Torpedogeschossen" experimentiert - lange Zeit, ohne einen nennenswerten Durchbruch zu erzielten. Das änderte sich 1883 als französische Wissenschaftler einen neuen Sprengstoff herstellten (Melinit), der im Wesentlichen aus Pikrinsäure besteht, und es gelang, dieses brisante Material in Granaten zu füllen. Das war die Geburtsstunde der Torpedogranate (wie sie von vielen Franzosen bezeichnet wurde) bzw. der Brisanzgranate (dieser Begriff ist in Deutschland gebräuchlicher).

Torpedo- oder Brisanzgranaten waren also eine sehr dünne Stahlhülse mit aufgeschraubten gusseiserner oder stählerner Spitze. Es gab kurze Granaten mit 2,73 bis 4,44 Kalibern und eine lange Version mit 6 Kalibern. Die Sprengladung bestand aus hochexplosivem Material, welches im Inneren in Zinkblechbüchsen verwahrt wurde. Das Gewicht der Sprengladung betrug bis zu 30 Kilogramm (bei der langen Torpedogranate). Und das Geschoss wurde mit einem Aufschlagzünder versehen. Die Zerstörungskraft dieser Granaten stellte die bisheriger Geschosse deutlich in den Schatten.

Die verheerende Wirkung von Brisanz- bzw. Torpedogranaten

Erster Weltkrieg - Westfront - deutsche Soldaten präsentieren Artilleriegranaten | Quelle: Historische Postkarte

Quelle: Historische Postkarte

Die Brisanzgranate ist also ein Langgeschoss (etwas länger als bis dahin üblicherweise im Einsatz befindlich), bei dem der innere Hohlraum so groß wie möglich gehalten wurde, um eine maximale Sprengladung aufzunehmen. Dabei wurde das relativ schwache Schwarzpulver durch Explosivstoffe wie Dynamit oder Melinit ersetzt.

Diese Geschosse wurden mit relativ geringer Anfangsgeschwindigkeit aus eher kurzläufigen Steilfeuergeschützen (Haubitzen oder Mörser) abgefeuert. Sie waren in der Regel mit Zündern mit Verzögerungsträgern bestückt und explodierten erst, nachdem sie mehrere Meter tief in die Erde eingedrungen waren.

Jeder Treffer erzeugte dabei einen riesigen Trichter und schon wenige genügten, um die Oberfläche eines Forts (wo die Geschütze in offenen Gefechtsstellungen positioniert waren) völlig umzuwälzen und untauglich für jegliche Bewaffnung zu machen. Die Gewölbe der Räume unterhalb der Brüstung wurden selbst aufgerissen, wenn sie nur mit 3 oder 4 Metern Erde bedeckt waren und nicht aus Zementbeton mit großer Dicke gebaut waren.

Erste Versuche, Festungen und Festungsartillerie durch Panzerung zu schützen

In Frankreich begann man im Sommer 1886 mit Experimenten, bei denen man das erst kurz zuvor errichtete Fort Malmaison nahe Laon beschoss. Es folgten weitere Versuchte einige Monate später in Bourges und 1888 im Lager Châlons. Sie lieferten wichtige Erkenntnisse über die Wirkung der Granaten und erste Erkenntnisse über den Schutz eigener Festungsartillerie durch Panzerung.

Auch in Belgien widmete sich General Brialmont 1889 solchen Experimenten, weil er die Dicke künftiger Kasematten-Gewölbe testen wollte. Er stellte unter anderem fest, dass neun bis zu 30 bis 60 Kilogramm Dynamit geladene Granate, die in den Trichter einer ersten, aus 2.500 Metern Entfernung abgefeuerten Granate gelegt wurde, in Ruhe explodieren musste, um die Räume mit einem Gewölbe aus Zementbeton (damals ein neuer Baustoff) unbrauchbar machte.

International die höchste Aufmerksamkeit unter Militärs und Festungsbauingenieuren errungen allerdings Tests, die nahe Bukarest ebenfalls von General Brialmont durchgeführt wurden. Er hatte seinerzeit den Auftrag, den neu zu errichtenden Festungsring rund um die Stadt zu planen. Bei diesen Versuchen ging es in erster Linie um den Schutz der Festungsartillerie durch moderne Panzertürme. Im Wettbewerb zueinander standen ein deutsches Modell der Firma Gruson in Magdeburg-Buckau (welches nach Angaben von Maximilian Schuman gefertigt wurde) und ein französisches Modelle der Firma Saint-Charmond (welches nach Plänen Mougins produziert wurde). Die Versuche wurden im Winter 1885-1886 durchgeführt.

Entwicklung neuartiger Panzerfestungen als Reaktion auf die Brisanzgranaten

Als Panzerfestung bezeichnet man einen gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Deutschen Kaiserreich und parallel von Frankreich entwickelten Festungstyp: Die immer stärker gewordene Artillerie und die enorme Zerstörungskraft der Sprenggranaten machten es notwendig, die Festungsartillerie, die den Fernkampf führte und die Hauptbewaffnung einer Festung darstellte, durch moderne Panzertürme zu schützen. Gleichzeitig galt es die Infanterie, die für die Nahverteidigung verantwortlich war, durch betonierte und unterirdische Kasematten ebenfalls besser vor feindlicher Artillerie zu schützen.

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