Entwicklung der Artillerie zwischen 1860 - 1870

Einführung moderner Hinterlader statt herkömmlicher Vorderlader

Mit der Einführung neuer Hinterlader und dem damit verbundenen Einsatz sogenannter Langeschosse möglich. Sie haben eine durch den gezogenen Lauf stabilisierte Flugbahn, weil das Geschoss in Rotation versetzt wird. Sie wird durch die korkenzieherartigen Rillen im Rohr erzeugt – den sogenannten Zügen. Alles zusammen erhöhte die Effektivität neuer Geschütze enorm. Sie hatten eine deutlich höhere Reichweite, eine höhere Treffgenauigkeit und die Geschosse konnten u.a. mit Schwarzpulver gefüllt werden, was deren Zerstörungskraft maßgeblich erhöhte.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Artillerie nur eine die Infanterie unterstützende Funktion – ich sagte das bereits. Man verschoss mit geringer Schussfolge einfache Eisenkugeln aus Vorderladern, die eine geringe Reichweite hatten. Obendrein hatten die Geschütze eine geringe Treffgenauigkeit und die Geschosse richteten bei massiven Bauten eher überschaubare Schäden an.

Unabhängig davon gab es allerdings bereits Büchsen (also Gewehre), die man von hinten lud und über einen gezogenen Lauf verfügten. Man schätzte sie wegen ihrer Reichweite und Treffgenauigkeit. Daher tüftelten Ingenieure daran, diese Vorteile auf das Artillerie-Material zu übertragen. Ein wesentliches Problem dabei war der Verschluss des Hinterladers. Er hatte die Aufgabe, das Geschützrohr abzudichten; er musste sich schnell öffnen und schließen lassen (um die Waffe zügig laden zu können), und er musste zugleich den Kräften widerstehen, die bei der Schussabgabe entstanden, so dass sich der Rückstoß auf das Rohr und die Laffete überträgt.

Aus heutiger Sicht tun sich verschiedene Ingenieure bei der Entwicklung erster moderner Hinterlader-Systeme mit gezogenem Lauf hervor:

  • Da wäre zuerst William G. Armstrong zu nennen. Er war Engländer und entwickelte in den 1850er-Jahren ein Hinterlader- geschütz (Armstrong-Geschütz), welches als bahnbrechend galt. Er verkaufte es in großer Stückzahl an zahlreiche (durchaus miteinander verfeindeten) Armeen und versorgte sogar beide Seiten des Amerikanischen Bürgerkrieges 1861-1865.

  • Martin von Wahrendorff wiederum war ein schwedischer Industrieller, eine Waffengießerei besaß und ebenfalls an dem Problem arbeitete. Er meldete bereits im Jahr 1837 sein Patent für einen neuen Kolbenverschluss an und begann wenige Jahre später mit der (Serien-) Produktion neuer Geschütze – ebenfalls Hinterlader mit gezogenem Lauf und natürlich seinem Wahrendorff-Verschluss.

  • Last but not least wäre da auch die Waffenschmiede von Friedrich Alfred Krupp zu nennen. Sein Unternehmen entwickelte und produzierte in den 1860er-Jahren zahlreiche Geschütztypen mit gezogenem Lauf und einem Krupp’schen Verschluss, der fast 30 Jahre (recht) unverändert zum Einsatz kam (Rundkreilverschluss C/1866 bzw. C/1868).

Die Überlegenheit der gezogenen Geschütze auf dem Schlachtfeld bzw. dem Festungskrieg

Die Einführung moderner Geschütze mit gezogenem Lauf in die europäischen Armeen erfolgte ab 1860 - nach Schiessversuchen. Preußen ging dabei voraus und verfügte bereits 1858 über entsprechend ausgestattete Kompanien.

In Deutschland wurden zuerst drei bis vier gezogene Kanonenkaliber eingeführt - nämlich 80 mm, 90 mm, 120 mm und 150 mm. Dazu kamen gegen Ende der 1860er-Jahre weitere schwere Mörser mit gezogenem Lauf - 170 mm und 210 mm. Preußen ging hier sogar noch einen Schritt weiter als seine Nachbarn und führte auch ein kurzes 150-mm-Geschütz ein. Es war vornehmlich für den indirekten Schuss bestimmt.

Die Überlegenheit der gezogenen Geschütze über die glattläufigen Vorgänge war bedeutend.

  • Schussweite: Sie erstreckte sich unter normalen Verhältnissen bis auf 3.750 Meter und war damit im Durchschnitt doppelt so groß wie bei glatten Geschützen. Das gestaltete Bombardements aus großen Weiten - mindestens doppelten Entfernungen und über detachierte Forts eines Festungsgürtels hinweg.

  • Zur Erinnerung: Die Forts eines Festungsgürtels sollten die zu schützende Stadt vor Artilleriefeuer befahren. Der Abstand der Forts zur Stadt berücksichtige also die seinerzeit mögliche Schussweite, die sich nun verdoppelte. Die Forts waren also eigentlich nutzlos geworden.

  • Treffgenauigkeit: Sie dehnte die Gebrauchsentfernung eines Geschützes auf das doppelte Maß gegen früher aus.

  • Zerstörungskraft: Mit den neuartigen Geschützen konnten sogenannte Langgeschosse verschossen werden. Sie hatten eine viel größere, im Durchschnitt doppelt so gr0ße Eindringungstiefe in feste Ziele als herkömmliche Rundkugeln. Und Sie besaßen eine bedeutende, minenartige Wirkung; sie zerstörten somit Erdziele, noch mehr als Mauerziele, in unerhört rascher Weise.

Geschütze mit gezogenem Lauf stellten also für damalige Festungen eine erhebliche Bedrohung dar. Außerdem machten sie zuvor errichtete Gürtelfestungen (wie beispielsweise den Festungsring rund um Köln) nutzlos. Das hatte erhebliche Auswirkungen: Nun waren im Fall eines Festungskriegs modern ausgestattete Angreife im Vorteil.

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