Die Entwicklung der neupreußische bzw. neudeutschen Festungsbaumaniser im Verlauf des 19. Jahrhunderts

Von den Vauban'schen Bastionärbefestigungen zur altpreußischen Befestigungsmanier
Festung Schweidnitz

Festung Schweidnitz - ein Beispiel altpreußischer Befestigungsmanier

Der Festungsbau wurde über Jahrhunderte hinweg durch den französischen Festungsbaumeister Sébastien Vauban geprägt. Er griff Konzepte aus den Anfängen des bastionären Festungsbau, der seine Ursprünge in Italien hatte, auf und verfeinerte sie maßgeblich. Bis Ende des 18. Jahrhunderts galten seine Prinzipien als Standard.

Überall? Nein, nicht überall: Denn die preußischen Könige experimentierten früh mit Alternativen, weil sie die Schwachpunkte bastionärer Festungswerke erkannten. Preußen setzte bereits unter dem Friedrich II. (den der Volksmund auch den "Alten Fritz" oder Friedrich der Große nennt - 1712-1786) auf Veränderungen. Friedrich II. prägte zusammen mit seinem favorisierten Festungsbaumeister Gerhard Cornelius von Walrave (1692–1773) eine gänzlich neue Festungsbaumanier, die als der altpreußische Festungsbau in die Geschichte einging. Im Kern handelte es sich dabei um sog. Tenaillen-Befestigungen - häufig mit vorgezogenen / vorgelagerten Bastionen, um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Kenner sagen, dass deren Konzepte bereits als Vorläufer der später eingeführten Polygonalbefestigungen anzusehen wären. Dazu aber später mehr.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm sich obendrein der Franzose Marc-Rene Montalembert den Schwachpunkten Vauban'scher Festungen an und formulierte neue Konzepte. Holzschnittartig zusammengefasst: Orte sollten nicht mehr allein durch eine (bastionäre) Festung geschützt werden, sondern durch mehrere kleine, dem Ort vorgelagerte Forts. Diese sollten optimalerweise einen polygonalen Grundriss haben, und sie sollten derart mit Artillerie ausgestattet sein, dass sie Angreifer das Aufbauen eigener Batterien verwehren könnten.

Ideen, die zweifellos seiner Zeit voraus waren und die man in Frankreich ablehnte. Hier setzte man weiter auf Vauban. Im Gegensatz dazu fielen sie in Preußen auf fruchtbaren Boden. Denn eigentlich waren die Unterschiede der altpreußischen Manier mit den vorgelagerten Bastionen gar nicht so weit entfernt von den Montalembert'schen Ideen.

Entwicklung der neudeutschen Befestigungsmaniser im 19. Jahrhundert
Quelle: Wilhelm Reinhardt 1917 - 2006

Historische Aufnahme einer Festung bei Thorn im heutigen Polen.
Quelle: Wilhelm Reinhardt 1917 - 2006

Erste Versuche, beides (die altpreußische Manier mit den Konzepten von Montalembert) zu kombinieren, gab es bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm III.. Die napoleonischen Kriege waren vorbei, beim Wiener Kongress wurde die Landkarte Europas neu gezeichnet und Preußen fiel die Aufgabe zu, das Rheinland vor einem eventuell erneuten Angriffs Frankreichs zu schützen. Es wurde ein gigantisches Festungsbauprogramm aufgelegt, um die strategisch wichtigen Städte Köln und Koblenz zu schützen.

Die neu errichteten Festungswerke unterschieden sich deutlich von bisherigen Befestigungsanlagen - aus denen des alten Preußenkönigs Friedrich II., den ich eingangs erwähnte.

Damit war im wahrsten Sinne des Wortes der "Grundstein" für eine neue Befestigungsmanier gelegt: der neupreußischen bzw. neudeutschen Befestigungsmanier. Die Festung Ehrenbreitstein, die von 1815 bis 1834 errichtet wurde, gilt als eine der ersten Festungen, die man der neudeutschen Befestigungsmanier zurechnen kann. Weitere folgten.

Wesentliche Merkmale der neudeutschen Befestigungsmanier - kurz zusammengefasst:


Ein Merkmal neupreußischer Festungen bzw. seiner Weiterentwicklung dem Biehlerfort ist (im Gegensatz zu altpreußischen Festungen oder Bastionärbefestigungen), dass man durch Wälle alle Werke der Festung der Feindsicht zu entziehen versucht, um möglichst keine Ziele für einen direkten Artilleriebeschuss zu bieten. Deswegen verfügen diese Festungen über ein sehr niedriges Profil. Obendrein waren diese Festungen (meist) als Fünfeck angelegt, so dass sich keine Toten Winkel ergeben.

Quelle: Kampf um Festungen - im Auftrage des K. u. K. General-Inspektors der Korps-Offiziersschule. 1912

Polygonal-Befestigung

In Deutschland setzte man bei Neu- oder Ausbau von Festungsanlagen bereits im frühen 19. Jahrhundert auf das Polygonalsystem. Direkt nach Abschluss des Wiener Kongresses im Jahr 1815 begann man, die Grenze zu Frankreich stark zu befestigen und legte etliche Festungsbauprojekte auf. In dieser Zeit entstand die Festung Ehrenbreitstein (wie wir sie heute kennen) zum Schutz der Stadt Koblenz, der neu gegründete Deutsche Bund setzte auf Polygonalfestungen und der erste Verteidigungsring rund um Köln, der vom Königreich Preußen errichtet wurde, folgt diesem Konzept auch.

Festungen dem Polygonalsystem folgend wurden in Deutschland somit schnell zum neuen Standard und man entwickelte sich stetig weiter. Höhepunkt war ab der 1870er-Jahre die Entwicklung des Biehlerschen Einheitsfort.

Der Umriss eines Forts mit polygonalem Grundriss ist der eines Vielecks. In Deutschland favorisierte man später die Form einer Lünette. Man nennt die feindwärts gerichteten Linie Face (oder Front) und die rückwärtigen Linien Kehle. Sie werden verbunden von den beiden Flanken. Das direkte Umfeld einer Festung bezeichnet man als Glacis. Sie sollte optimalerweise ansteigend sein (um einen Sturmlauf feindlicher Einheiten zu erschweren) und keine Hindernisse aufweisen, die entweder die Sicht verdecken oder Angreifenden gute Deckung geben. Von der Face aus ist die Feuerwirkung in erster Linie in das Vorfeld (die Glacis) gerichtet, von den Flanken erfolgt die Feuerwirkung aus den Flanken in die Intervalle und aus der Kehle in den rückwärtigen Raum. Umgeben war eine solche Festung von einem tiefen Graben, der - zusammen mit anderen baulichen Maßnahmen - die Sturmfreiheit gewährleisten soll. Damit sind alle Einrichtungen gemeint, die dazu dienen, Angreifende den Zugang zur Festung mit allen Mitteln zu verwehren.

Grundriss eines Biehlersches Einheitsforts

Gürtelfestungen

Als Gürtelfestung bezeichnet man ein komplexes Verteidigungssystem - bestehend aus mehreren einzelnen Festungsanlagen, die ringförmig um eine zu schützende Stadt errichtet wurden. Zentrale Aufgaben der vorgelagerten, eigenständig agierenden Forts ist es, einerseits die Stadt vor Artilleriebeschuss zu bewahren und andererseits angreifende Verbände mindestens aufzuhalten, optimalerweise sogar zu stoppen.

Der Abstand zwischen der Stadt und den vorgelagerten Festungen wurde von der Reichweite der einsetzbaren Geschütze bestimmt. Über Jahrhunderte hinweg war diese recht kurz; es wurde auf Sicht geschossen und man konnte Ziele in einer Entfernung von maximal 1.500 Meter bekämpfen. Insofern lagen auch die detachierten Forts auf Sicht zur Stadtmauer. Später änderte sich das. Die Reichweite modernerer Geschützte nahm erheblich zu, so dass die vorgelagerten Festungen auch in größerer Distanz zur Stadt zu errichten waren. Diese Entwicklung erklärt auch, warum es Städte gibt, die über mehrere Festungsgürtel verfügen (Köln, Antwerpen).

Die Art und Weise neue Festungen zu errichten hat sich im Verlauf der Jahrhunderte und speziell im Verlauf des 19. Jahrhunderts grundlegend verändert. Preußische Festungsbauingenieure gingen hier früh einen Sonderweg und führten eine komplett neue Festungsbauschule (auch Festungsbaumanier) ein. Das Prinzip einer Gürtelfestung blieb in dieser Zeit allerdings unverändert.

Quelle: Artillerieunterricht für die k. u. k. Festungsartillerie, VI. Teil Einrichtung der beständigen Befestigungen. Kuk-Hof- und Staatsdruckerei, 1914

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