Tenaillen-Befestigungen

Das Tenaillensystem ist eine Reaktion auf die Schwächen bastionärer Festungen beziehungsweise eine Entwicklung im Festungsbau ab Mitte des 17. Jahrhunderts. Hermann Landsberg (1670-1746) war einer der maßgeblichen Verfechter des neuen Tenaillensystems. Obwohl der in Sachsen lebte, widmete er seinen Ideen das in französischer Sprache verfasste Buch "Les fortifications de tout le monde" (Dresden 1712). Später griff der französische Festungsbaumeister Marc-René Montalembert (1714-1800) seine Konzepte auf und verfeinerte sie.

Das Besondere am Tenaillensystem ist, dass die dem Angreifer zugewandte Seite einer Festung aus wiederkehrenden, aneinander gereichte, langen 60°-Winkeln besteht, so dass schlussendlich eine sternförmige Verteidigungslinie entsteht. Das brachte den Vorteil, dass dadurch für die Verteidiger gut geschützte Geschützpositionen entstanden und sie von hier aus wirkungsvollen Kreuzfeuer abgeben konnten, während es für die Angreifer gleichzeitig schwer war, die auf den sternförmigen Vorsprüngen platzierte Geschütze mit direktem Feuer zu treffen. Hier muss bedacht werden, dass seinerzeit das Geschützfeuer noch recht „ungenau“ war und man Probleme hatte, Ziele „auf den Punkt zu bekämpfen“.

Mit dem Tenaillensystem suchte man ferner Antworten auf die zentralen Schwächen des bis dato vorherrschenden Bastionssystem, welches gekennzeichnet war durch den Wechsel von Bastionen und Kurtinen (also dem Wall zwischen den Bastionen). Letztere sind bei einem Angriff besonders gefährdet, da sie vom Angreifer wegen ihrer großen Fläche frontal angegriffen werden können. Das war übrigens auch einer der Gründe, warum man im Lauf der Zeit vor den Kurtinen einer bastionären Festung weitere Werke errichtete (Ravelin), weil das diese Schwachstelle verringern sollte.

Unabhängig davon wurden Bastionärfestungen durch ihre zunehmende räumliche Ausdehnung (Hornwerk, Kronwerk, Ravelin etc.) immer komplexer. Je komplexer eine Festungsanlage aufgebaut ist, desto schwieriger ist sie zu verteidigen. Die vorgelagerten Werke schützen die Kernfestung – solange sie in eigener Hand waren. Änderte sich dies, konnte der Angreifer das Feuer der erbeuteten Geschützte direkt gegen die Kernfestung richten beziehungsweise wichtige Brückenköpfe in den der Festung vorgelagerten Werken direkt im Verteidigungswall errichten.

Das Tenaillen-Befestigungssystem wurde in der damaligen Literatur intensiv erörtert, weil es mit konventionellen Überlegungen zur Verteidigung strategisch wichtiger Städte brach. Es wurde allerdings nur einmal zur Neubefestigung einer Stadt umgesetzt (Magdeburg, 1730), weil es sehr platzaufwendig und kostspielig hinsichtlich der Umsetzung war.

Es stelle sich mit der Zeit jedoch heraus, dass sich die Ideen von Landsberg und Montalembert gut für einzelne Forts eigneten.

Dieser Aspekt wurde von den Preußen aufgegriffen und Teil der sogenannten altpreußischen Befestigungsmanier, die zur Zeit von Friedrich dem Großen eingeführt wurde:

Bei der altpreußischen Manier (eingeführt gegen 1747) richtete sich der Platzbedarf einer Festung wieder mehr nach dem Platzbedarf der Städte und orientierte sich weniger an strengen geometrischen Grundsätzen. Da nun der Umriss der Festung "fremdbestimmt" war und man auf die Gegegenheiten flexibel reagieren wollte, waren verschiedene Neuerungen notwendig: Man verkleinerte die Bastionen (verzichtete aber nicht auf sie wie bei der neupreußischen Manier) und errichtete in einiger Entfernung entstand ein zweiter, äußerer Wall, an dessen Ecken man kleine, dem Tenaillensystem folgende Forts platzierte. Hinter diesen Forts befand sich wiederum ein "Abschlusswall", der ebenfalls selbstständig verteidigt werden konnte.

Unter Friedrich II. (1712-1786) begannen die Preußen also, die Vorteile des Tenaillensystems in ihre altpreußische Befestigungsmanierzu integrieren und entwickelten es weiter. Beispiele dafür sind die schlesischen Festungen Schweidnitz, Neisse und Glatz.

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Die preußische Festung Neisse (Nysa) beim Angriff von 1807 durch Napoleon Bonaparte

Festung Neisse (Nysa, Polen)

Quelle: Geschichte der Kriegsschule in Neisse nebst einem Abriss der Geschichte der Festung Neisse | Autor: Ernst Siegfried Mittler und Sohn | Berlin 1910

Geschichtlicher Hintergrund: In den Jahren 1806/07 fand der sogenannte Vierte Koalitionskrieg statt. Er wird häufig auch als Napoleonischer Krieg oder Feldzug gegen Preußen bezeichnet. Es war eine Auseinandersetzung zwischen Frankreich und den mit ihm verbundenen deutschen Staaten (u.a. den Mitgliedern des Rheinbundes) sowie Preußen und Russland auf der anderen Seite. Die preußische Stadt Neisse wurde während dieses Krieges zwischen dem 23. Februar 1807 und dem 16. Juni des gleichen Jahres durch französische Truppen belagert. Sie konnte allerdings von den Preußen erfolgreich verteidigt werden. Unabhängig von dem Erfolg bei der Schlacht um die Stadt Neisse ging dieser Krieg für Preußen wenig rühmlich aus. Sie wurden geschlagen, verloren fast die Hälfte ihres Gebietes. Dagegen befand sich Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht.


Weitere Informationen:

- Eléments de fortification, Paris, 1792.

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